Muttersprache

Erfahrungsbericht zum Thema  „Erwerb der Muttersprache“

Fallbeispiel:

Unser Adoptivkind kam im Alter von zwei Jahren zu uns. Im Herkunftsland fing es gerade an ein paar russische Wörter zu sprechen. Nach der Adoption konnten wir als deutschsprechende Familie dem Kind die russische Sprache leider nicht weiter beibringen und vermitteln. Wir merkten, dass von Tag zu Tag der russische Wortschatz weniger wurde. Daraufhin machten wir uns in unserer Umgebung schlau und fanden eine samstägliche Einrichtung für Kleinkinder ab dem Alter von 2,5 Jahren, in der jeden Samstag von 10-14 Uhr die Kinder russische Lieder singen, tanzen, basteln, erzählen, malen usw. Eine Art russischer Kindergarten am Samstagmorgen. Unser Kind liebte es dort hinzugehen. Ab dem Alter von 4,5 Jahren haben wir unser Kind in einer Art Russischen Schule angemeldet. Freitags in der Zeit von 17-19 Uhr werden drei Schulstunden unterrichtet (Russisch/Sprechen und Schreiben, Kunst und Singen/Tanzen). Dies ist eine wunderbare Fortsetzung des samstäglichen Kindergartens. Unserem Kind werden in dieser Schule auch das russische Lebensgefühl, die Bräuche und Traditionen vermittelt. Es gibt gemeinsame Ausflüge, Feste und Veranstaltungen – natürlich nur in russischer Sprache. Es ist wunderschön mitzuerleben, wenn das Kind in seiner Heimatsprache spricht und dabei noch so einen Spaß hat. Wir könnten es uns gar nicht mehr ohne die Schule und unsere neuen Bekanntschaften vorstellen. Wir wurden herzlich- und sogar mit Bewunderung aufgenommen. Zur Bewältigung der Hausaufgaben haben wir einmal in der Woche zusätzlich über ein Inserat eine russisch sprechende Frau engagiert, die mit ihrer Familie auch ein Teil unserer Familie geworden ist. Es sind wunderbare Beziehungen entstanden, die wir nicht mehr missen möchten. Wir wissen nun, wo man in unserer Umgebung russische Lebensmittel, Kinderbücher, Kinderspiele und Traditionelles einkaufen kann. Diese sind Teil unseres Alltags und Familienlebens geworden. Wir schließen das Herkunftsland unseres Kindes nicht aus, sondern begrüßen es mit offenen Armen.

Elterntipp:

Es gibt eine große Auswahl an russische Kultur- und Bildungsvereine in Deutschland, die ein breites Angebot an kulturellen Veranstaltungen sowie Unterrichten für die Kinder und Jugendlichen in verschiedenen Lernbereichen. Die Begeisterung und das Interesse für das Herkunftsland und die Herkunftssprache ermöglichen dem Kind sich mit seiner Geschichte und seinem besonderen Lebensweg positiv auseinanderzusetzen. Das Wissen um, das Erleben und der Kontakt zu Menschen des Herkunfts- und Kulturkreises sind besonders wertvoll und verbinden beide Lebensabschnitte (vor der Adoption und nach der Adoption) miteinander.

Verfasser:  SO

 


Fachlicher Kommentar:

Die meisten Adoptivkinder aus Osteurasien kommen im Alter von 18 Monaten bis 4 Jahren in Deutschland an und sind öfters sprachlich entwicklungsverzögert. Die Gründe hierfür liegen vor allem in den deprimierten Umständen der Kinderheime.

Die Kinder, die bei der Adoption ihre ursprüngliche Muttersprache schon beherrschen, erleben erst mal einen Schock, wenn sie sich nicht mehr verständigen können. Manche Kinder reagieren sogar mit Aggressivität und zurückhaltendem Verhalten. Daher ist es den zukünftigen Adoptiveltern herzlichst zu empfehlen ein paar wichtige Ausdrücke wie „Hast du Hunger?“, „Keine Angst, Mama ist da“ etc. zu erlernen. Allerdings lernen die Kinder die neue Sprache erstaunlich schnell und genau so schnell vergessen sie leider ihre Muttersprache.

Manche Kinder reagieren mit Abwehr, Verwirrung und sogar Angst, wenn sie später auf Russisch angesprochen werden. Vor allem in der Eingewöhnungszeit, wenn das Verständnis für die russische Sprache noch vorhanden ist. Die anderen reagieren mit Neugier und Begeisterung.

Die fließende Beherrschung der Muttersprache ist selten realistisch, da die Adoptiveltern in der Regel diese Sprache nicht beherrschen und das Kind dabei nicht unterstützen können. Gleichwohl, das Erlernen der Muttersprache bietet dem Kind die Möglichkeit sich mit dem Herkunftsland bzw. seiner Kultur näher auseinanderzusetzen.

Empfehlenswert ein Artikel über Zweisprachigkeit von  ausländischen Adoptivkindern bei PFAD e. V.:

http://www.pfad-bv.de/dokumente/Wissensdatei/Zweisprachigkeit.pdf

Verfasserin: Julia Richter, Sozialarbeiterin/-pädagogin (B. A.)